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Spiritualität als Ressource

Es ist mein Anliegen darauf hinzuweisen, inwiefern Spiritualität als Ressource in der Beratung zur Bewältigung von Lebenskrisen erfahren werden kann. Ich verstehe Spiritualität als eine in jedem Menschen inne wohnende Kraft. Wenn sie sich entfalten kann, drückt sie sich aus in dem Gleichgewicht von Körper, Seele, Geist und wird empfunden als ganzheitliches Wohlbefinden. Da sich Spiritualität auf die drei Dimensionen (Körper, Seele, Geist) bezieht, die den Menschen ausmachen, kann für den Heilungsprozess eine der drei Ebenen als Anknüpfungspunkt dienen. Die vorliegende Arbeit nimmt die geistige Ebene als Entwicklungs- und Gesundungspotential in den Blick.

Die moderne Religionspsychologie zeigt auf, wie sich im Laufe des Lebens entwicklungspsychologisch bedingt nacheinander verschiedene Glaubensvorstellungen aufbauen und wieder durch neue ablösen. Dabei ist es für eine gesunde Spiritualität bedeutsam eine angemessene Glaubensvorstellung zu entwickeln, die für die momentane Entwicklungsstufe adäquat ist.

Natürlich gibt es grundsätzlich viele spirituelle Wege und Möglichkeiten. Die Auswahl ist groß. Ich kann von keinem sagen, dass dieser Weg der einzige richtige ist, allein gültig für alle Zeiten und für alle Menschen. Genau das wäre der größte Fehler. Die Kunst ist es den Weg zu finden, der für einen ganz bestimmten Menschen, in einer ganz bestimmten Situation stimmig ist.

Wenn Menschen mit einem psychischen Leidensdruck in meine Praxis kommen, liegen oftmals Blockaden zugrunde, die eine gesunde Lebensfreude, Kreativität und somit eine positive Sicht auf das Leben verhindern.  Dieses Blockiertsein der gesamten Persönlichkeit schließt auch die spirituellen Dimension mit ein. Nicht selten liegen der psychischen wie physischen Gesundheit eines jeden Menschen eine spirituelle Ausprägung zu Grunde, die oftmals schadhaft wirkende Impulse in sich trägt. Mittlerweile wird durch eine Reihe von wissenschaftlichen Forschungen der Gesundheitsfaktor von Spiritualität durchaus betont.

Meine Erfahrung zeigt, dass es zur Lösung von festgefahrenen Blockaden mehr als die Übung einer spirituellen Praxis bedarf, wenngleich ich mich über die mannigfaltigen Studien und über deren positive Wirkung sehr freue. Um Menschen jedoch zu einem gesunden und von Blockaden befreitem Leben zu verhelfen, bedarf es professioneller psychologischer Kenntnisse und sicheren Umgang mit therapeutischen Techniken, die es möglich machen die Wirkung von spiritueller Praxis zu reflektieren, sowie für den Heilungsprozess nutzbar zu machen.

Spiritualität

An dieser Stelle steht es an, das Verhältnis von Spiritualität, Glaube und Religiosität zu bestimmen. Dabei beziehe ich mich auf neuere Erkenntnisse zur Psychologie der Spiritualität sowie auf Entwicklungstheorien der Religionspsychologie.  Das Anliegen von Spiritualität bezieht sich auf das Verhältnis des Menschen zu sich selbst, zu seinen Beziehungen, zu seiner Umwelt, in der die Natur mit einbezogen ist und zu einer Transzendenz.  Die Transzendenz als solche ist grundsätzlich nicht eindeutig bestimmt. Sie ist universal und mit „Religion“ nicht identisch. Diese Bestimmung erfolgt jedoch durch die einzelne Person mit Hilfe der spirituellen Intuition selbst und kann sowohl intrinsisch als auch extrinsisch motiviert sein. Spiritualität drückt sich aus im Gefühl des Verbunden- und Einssein, in der Beziehung zu Gott oder einem höheren Wesen, in dem Verbundensein mit der Natur, in der Beziehung zu anderen, in der Fähigkeit zur Selbsttranszendenz, in der Beziehung zum Selbst, in Form einer spirituellen Praxis, speziell durch Gebet und Meditation, als paranormale Erfahrungen und Fähigkeiten.

Ausdruck von Spiritualität durch Körper, Seele, Geist

Von meinem eigenen Selbstverständnis her, gehe ich davon aus, dass jeder Mensch von Natur aus auch ein spirituelles Wesen ist. Das Zusammenspiel von Körper, Geist und Seele möchte ich als spirituellen Akt verstehen, der sich intuitiv vollzieht. Geschieht Einfluss auf einer Ebene der drei Bereiche, wirkt er sich intuitiv auf die beiden anderen aus. Eine gesundes spirituelles Bewusstsein zeichnet sich m. E. in einem Wohlbefinden aus, das sowohl körperlich spürbar, als auch geistig bewusst wird und seelisch empfunden werden kann.

Körperliche Dimension

Auf der körperlichen Ebene wäre demnach ein Fließen und Strömen spürbar, das sich insbesondere durch eine tiefe und gleichmäßige Atmung sowie runde und ruhig-fließende und achtsame Bewegungen auszeichnet. Hat ein Mensch Zugang zu seiner Spiritualität gefunden, wird er achtsam mit sich und seiner Umwelt umgehen. Ich sehe in der Achtsamkeit einen Ausdruck von Spiritualität.  Ein achtsamer Mensch weiß wie es sich anfühlt ge-achtet zu sein und selbst achtsam behandelt zu werden. Sein / ihr Körper- und Lebensgefühl durchströmt die tiefe Verankerung und das Vertrauen in sich selbst und zu anderen Menschen sowie Vertrauen in das Leben, Wohlbefinden und das Gefühl rundherum satt zu sein, – Glücksgefühl.  Die Erfahrung der Selbstachtung macht es nicht nötig, sich selbst ständig mit Aktivitäten zu überlasten, um Anerkennung zu gewinnen. Auf dieser Ebene gibt es eine Fülle körperorientierter Verfahren, die ganz gezielt auf den Körper einwirken, um dieses Wohlbefinden zu fördern. Gute Erfolge erzielen hier das Autogene Training, die Eutonie sowie das Training der Achtsamkeit.

Seelische Dimension

Finden Körper und Geist zusammen, dann entsteht ein seelisches Gleichgewicht. Die seelische Ebene drückt eine innere Ruhe und tiefe Zufriedenheit mit dem Leben aus, was sich auch in einem konsequenteren Wertbewusstsein ausdrückt, zum Beispiel in einer Haltung des Respekts sich selbst und anderen gegenüber. Ich möchte es bezeichnen als die „Fähigkeit zur Unvollkommenheit“,  die „Fähigkeit, das eigene Leben mit seinen fragmentarischen Anteilen auszuhalten“ und „Achtung vor seinen eigenen Bedürfnissen zu empfinden“. Hat beispielsweise ein altruistisch geprägter Mensch erfahren, dass es sich für das eigene  Wohlbefinden auszahlt, sich für die eigenen Bedürfnisse einzusetzen, wird das immer wieder Antrieb für einen weiteren Einsatz sein. Es ist dann ein Ausdruck der Haltung eines Menschen, der sich selbst achtet. Dadurch wird ein gesundes Fundament errichtet gegen autoaggressives Verhalten. Hat ein Mensch erfahren, dass man ihn respektvoll begegnet, bildet sich eine innere Sensibilität für Situationen, in denen diese Haltung vorhanden ist. Ein Mensch, der die Erfahrung, in den Augen anderer respektiert und geachtet zu sein, in sein Erfahrungsrepertoire aufgenommen und in sein Lebensgefühl integrieren konnte, wird sich nicht selbst ständig überlasten mit Aktivitäten, um Anerkennung zu gewinnen. Das Körper- und Lebensgefühl eines Menschen, in dessen Leben Respekt mit all diesen Fassetten zu einem erfahrbaren Wert geworden ist, umfasst eine tiefe Verankerung und Vertrauen in sich selbst und zu anderen Menschen,  Vertrauen in das Leben, Wohlbefinden, rundherum satt zu sein, Glücksgefühl. Dieses Wohlbefinden verlängert die Lebenserwartung, reduziert das Risiko von Zivilisationskrankheiten, speziell kardiovaskulär, vermindert Stress, stärkt das Immunsystem erhöht das Wohlbefinden, erleichtert Coping (Bewältigung von schwierigen Lebensereignissen), hilft bei der Entwicklung eines Gesundheit förderlichen Lebensstils. Durch die Erfahrung der Nähe zu einem Absoluten (Universum, Kosmos, Gott), kann Friede in die Kapillaren hinausströmen, der Herzschlag ruhiger werden, die Atmung langsamer und tiefer, der Muskeltonus entspannen.

Beeinträchtigung der spirituellen Dimensionen

Bestehen auf einem der drei Bereiche schwerwiegende Beeinträchtigungen kann die spirituelle Befindlichkeit, das Wohlgefühl als solches in Mitleidenschaft gezogen werden und aus dem Gleichgewicht geraten. So können durch einen Unfall, körperliche Gebrechen verursacht worden sein, die etwa mit kurz- oder langfristigen Schmerzen einhergehen bzw. die auf lange Sicht mit körperlichen Einschränkungen der Beweglichkeit verbunden sind. Sowohl die Schmerzen als auch die veränderte Lebenssituation können individuell verschiedene Fragen aufwerfen. „Warum muss gerade mir das passieren?“ „Durch die Schmerzen kann ich an nichts anderes mehr denken.“ „Durch meine Behinderung hat sich mein Leben zu hundert Prozent verändert. Nichts ist mehr so wie es war.“ Durch Schicksalsschläge erscheinen bisherige Lebenseinstellungen nicht mehr haltbar und eine Neuorganisation wird erforderlich. Das seelische Gleichgewicht gerät durcheinander. Die Spiritualität ist blockiert. Selbst wenn es möglich ist die körperliche Funktion wieder voll herzustellen, können ungelöste Fragen in Verbindung mit starken Emotionen zurück bleiben. Das gleiche gilt natürlich auch für das Erleiden von Schicksalsschlägen, die keine unmittelbare körperliche Beeinträchtigung zur Folge haben, wie etwa psychische Belastungen durch Mobbing, Trennung, Scheidung, Verlust des Arbeitslatzes, Tod eines geliebten Menschen oder Beziehungskonflikte. Glaubensfragen als Ausdruck der spirituellen Entwicklung  Menschen erleben Schicksalsschläge als Erfahrungen, auf die sie selbst keinen direkten Einfluss haben. „Etwas geschieht mit mir und ich kann nichts dagegen tun.“ Oft stellt sich dann die Frage nach einer höheren Macht, der sie ausgeliefert zu sein scheinen oder es entstehen Fragen, die den Lebenszusammenhang betreffen. Aber auch spirituelle Erfahrungen, die sich plötzlich durch die Übung einer spirituellen Praxis einstellen, können enorme Irritationen hervorrufen. Es beginnt eine Suche nach Antworten. Hierbei handelt es sich in erster Linie um spirituelle Glaubensfragen, die nicht unbedingt an religiöse Fragen gebunden sein müssen. Sie können aber dahin münden.  Es stellt sich nun die Frage, ob es eine bestimmte Art von Antworten gibt, die hilfreich sein könnten.  Diese Suche nach Antworten ist Teil des spirituellen Entwicklungsprozesses. Dabei handelt es sich in erster Linie um einen intellektuell-kognitiven Entwicklungsprozess handelt, der zur Herstellung des spirituellen Gleichgewichts nötig ist.